Viele Leute meinen, man müsse mindestens 50% der Bevölkerung mobilisieren, um etwas zu ändern, man müsse dafür sorgen, dass eine Zeitung wie die BILD gar nicht mehr gekauft werde, um sie fertig zu machen usw.
Das ist natürlich nicht so. Noch gibt es ein gewisses Spiel verschiedener Kräfte, so dass es im Grundsatz reicht, das Zünglein an der Waage zu sein, um den Aussschlag in die eine oder die andere Richtung zu geben. Was beispielsweise die knallharte neoliberale Linie und den Marsch in die Diktatur angeht, können CDU/CSU und FDP keineswegs auf eine 100% Mehrheit im Volke bauen, auch nicht auf eine 100% Mehrheit in den Parlamenten/Parteien.
Was die Kalkulationsgrundlage einer Zeitung angeht, so muss man ihre festen Kosten im Auge haben: Gehälter, Löhne, Mieten, ein Teil der Energiekosten, Kreditzinsen und diveres andere sind auch dann zu zahlen, wenn keine einzige Zeitung verkauft wird. Allein um diese Kosten zu decken, müssen eine Menge Zeitungen verkauft werden. In der Wirtschaft spricht man vom Break-Even-Point, an dem gerade soviel verkauft wird, dass die festen Kosten gedeckt sind und ein Verlust damit vermieden wird.
Da rückläufige Verkaufszahlen nicht nur die Verkaufserlöse schmälern, sondern zugleich die Zeitung für Werbetreibende unattraktiver machen, dürfte so gut wie jede Zeitung schnell erledigt sein, wenn auch nur jeder zehnte aktuelle Käufer verzichtet, sie zukünftig zu kaufen.
Ich schreibe das, weil es im politischen Denken vieler noch nicht angekommen ist, dass man unter bestimmten Umständen bereits mit kleinen Wirkungen große Wirkungen erzielen kann: Sitzen auf einer mächtigen Balkenwaage rechts und links zwei afrikanische Elefantenbullen, beide genau 6 Tonnen schwer, dann brauche ich nur mit einem kleinen Finger auf den Rücken eines der beiden Bullen zu drücken, um den Ausschlag zu geben.
Würde man auf der Straße auf einen LKW zeigen, einer Passantin/einem Passanten sagen: „Den hebe ich mit meiner Körperkraft an jeder Ecke hoch!“, dann würden die Leute denken, man sei verrückt. Weil sie nur oberflächlich denken. Dabei kann das jede und jeder mit einem Wagenheber oder mit einem Flaschenzug. Sagt man das dann ein paar Sekunden später, dann hört man: „Ja, damit kann das ja jeder!“ Natürlich. Etwas anderes hatte man ja auch nicht behauptet.
Politischer Kampf muss die Suche nach Wagenhebern und Flaschenzügen, nach Balkenwaagen im ungefähren Gleichgewicht im Auge haben, nicht absolute Stärken von irgendetwas oder irgendem. Wir hätten keine Chance im Internet gegen die Internetforce des Staatsschutzes, wenn sie sich vollständig auf uns konzentrieren könnte. Kann sie aber eben nicht, sie hat ein ganzes Volke auszuschnüffeln und zig-tausende von Googleseiten zu manipulieren und so weiter.
Mit den griechischen Streitkräften wurden Wehrmacht und Waffen-SS im zweiten Weltkrieg ruck-zuck fertig, mit den griechischen Partisanen nie. Weil die sich aussuchen konnten, wann und wo und wie sie angriffen, stets dort, wo die Chancen ideal waren.
Politischer Kampf muss also intelligent geführt werden, das ist das A und das O. Ich schreibe diese Dinge übrigens nicht für unsere Hackerinnen und Hacker: Die sind durch die Bank Mathe-Cracks, Grenzwertbetrachtungen und Optimierungsverfahren sitzen denen in Fleisch und Blut. Ich schreibe das für alle, weil man kein Mathe-Crack sein muss, um diese wichtigen Dingen zu begreifen und zur gedanklichen Grundlage politischen Kampfes zu machen.
Bezogen auf die derzeitige Lage in Deutschland fällt auf, dass wir zwei Situationen haben, in denen ungefähre Balkenwaagen-Gleichgewichte herrschen: Im Saarland, betreffend die Landtagswahl am 30. August 2009, und in Thüringen, betreffend die Landtagswahl ebenfalls am 30. August 2009.
Die Landtagswahl in Thüringen weist eine weitere Besonderheit auf: Die Grünen stehen dort auf der Kippe, sie können die 5% Hürde schaffen, aber sie können auch an ihr scheitern.
Hier liegt also eine Lage vor, in der man mit wenig Kraft grundsätzlich viel erreichen kann.
Später mehr dazu.
Herzlichst!
Euer
Winfried Sobottka, United Anarchists